In letzter Zeit vergeht kaum eine Woche, ohne dass irgendwo über Massentourismus diskutiert wird – sei es auf Mallorca, in Venedig oder nun auch in Norwegen.
Auch ich mache mir zunehmend Gedanken über das Reisen – über mein eigenes Verhalten, über Orte, die mir viel bedeuten, und darüber, wie sich die Welt verändert, wenn sie zur Kulisse für Selfies wird.
Gerade bei Orten, die mir persönlich viel bedeuten, sehe ich mit eigenen Augen, wie sehr sie sich durch den wachsenden Tourismus verändern – und das schmerzt.
Was aktuell passiert – kurz und knapp
Kreuzfahrtschiffe lasse ich an dieser Stelle außen vor – aber sie sind definitiv auch Teil des Problems.
Das Thema Massentourismus kocht derzeit überall hoch – und das nicht ohne Grund. Die Stimmung in vielen beliebten Reiseländern kippt spürbar, Proteste nehmen zu, erste politische Konsequenzen folgen. Ein paar Beispiele:
Spanien – Proteste auf Mallorca und in Barcelona
Im Juni 2025 gingen tausende Menschen auf Mallorca und in Barcelona auf die Straße. Die Forderungen: bezahlbarer Wohnraum, Erhalt der Lebensqualität, Grenzen für die touristische Übernutzung. In Palma trugen Demonstrierende Plakate mit Aufschriften wie „Your holidays, my misery“. Wasserpistolen, Rauchwolken und symbolische Aktionen machten den Protest sichtbar – kreativ, aber mit ernsten Hintergründen.
Rund 949.000 Menschen leben dauerhaft auf Mallorca. Im Jahr 2024 kamen 13,5 Millionen Tourist*innen – etwa das 14-Fache der Einwohnerzahl. Dazu rund 100 Flüge täglich aus Deutschland. Das Gefühl der Überforderung ist da kaum verwunderlich.
Norwegen – Touristensteuer ab 2026
Ab Sommer 2026 führt Norwegen eine Touristensteuer von bis zu 3 % ein – auf Hotels, Airbnbs und Kreuzfahrten. Ziel ist es, Infrastruktur, Natur und die Bedürfnisse der Einheimischen zu schützen. Besonders in Regionen wie Tromsø oder am Geirangerfjord soll so der Druck gemindert werden.
Notting Hill – Touristenrummel vor der Haustür
Auch in London wird der Protest gegen Massentourismus lauter: In Notting Hill beschweren sich Bewohner*innen zunehmend über den Ansturm auf die berühmten bunten Häuser. Besonders die Lancaster Road wird täglich von Touristen und Content-Creators belagert – viele klettern über Zäune, blockieren Eingänge oder machen stundenlang Fotos. Anwohner berichten von Lärmbelästigung, Müll und fehlender Privatsphäre. Einige haben ihre Häuser inzwischen sogar schwarz gestrichen, um ein Zeichen zu setzen und den Selfie-Wahn zu stoppen.
Weitere Maßnahmen in Europa
Venedig verlangt bereits Eintritt für Tagestouristen. Barcelona will bis 2028 sämtliche Ferienwohnungen abschaffen. In Portugal, Griechenland und Italien mehren sich Proteste und Diskussionen über regulierende Maßnahmen. Der Begriff „Übertourismus“ ist längst kein Nischenthema mehr.
Persönliche Erfahrungen mit dem Wandel
Tromsø: Nordlicht-Ruhe trifft Reiseboom
Als wir im Februar 2019 das erste Mal nach Tromsø reisten, fühlte sich alles noch wie ein echter Geheimtipp an. Der Flughafen war klein, übersichtlich, und internationale Flüge gab es kaum – gerade genug, um Ruhe und Nähe zur Natur zu bewahren. Fast jedes Jahr verbrachten wir dort Zeit im Schnee, beobachteten Nordlichter über fast menschenleeren Fjorden und genossen das Gefühl, einen besonderen Ort fast für uns allein zu haben.

Doch seitdem hat sich einiges verändert – und zwar gehörig. Im Februar 2022 zählte man nur 102 internationale Flüge. Drei Jahre später waren es bereits über 9001. Der neue internationale Terminal, eröffnet 2024, bringt wöchentlich tausende Passagiere zusätzlich. Inzwischen landen Flugzeuge aus ganz Europa – darunter Spanien, Frankreich, Großbritannien, Deutschland, Italien, den Niederlanden und der Schweiz. Tromsø ist heute ein gut vernetzter Nordlicht-Hotspot – mit allen Vor- und Nachteilen.
Schottland: Von Roadtrip-Romantik zu Mietwagen-Karawanen
Im Mai 2016 machte ich mit meiner besten Freundin Aya einen Roadtrip durch Schottland. Damals war das Land weit und leer, die Highlands fast schon einsam. Wir hielten dort an, wo wir wollten, konnten spontan sein, ohne Verkehrschaos oder Gedränge.
Heute liest man von überfüllten Straßen, überlasteten Parkplätzen, Wohnmobil-Kolonnen und Frust bei Einheimischen. Vielerorts gelten mittlerweile Besuchsregelungen oder Einschränkungen. Die Ruhe und Ursprünglichkeit, die uns damals so begeistert haben, sind an vielen Orten nicht mehr da. Ich kann die Menschen dort gut verstehen.
Zwischen Selbstbild und Realität
Vor Kurzem habe ich einen Stream von Gronkh gesehen, in dem er auf das Video „Malle ist so ein Fiebertraum“ von den 2 Bored Guys reagiert hat. Und ich muss zugeben: Das hat etwas mit mir gemacht. Es hat mich noch mal deutlich daran erinnert, wie schnell man – ohne es zu wollen – Teil eines Problems sein kann.
Das Video ist auf den ersten Blick witzig gemacht – aber was da gezeigt wird, ist erschreckend real. Überfüllte Straßen, betrunkene Menschen, zerstörte Rückzugsorte. Kein Wunder, dass die Einheimischen auf die Barrikaden gehen. Dabei hat Mallorca ja so viel mehr zu bieten…
Ich habe angefangen, mein eigenes Verhalten als Reisende*r zu hinterfragen. Zum Glück kann ich für mich sagen: Ich bin jemand, der lieber leise unterwegs ist. Ich halte mich an Regeln, auch im Straßenverkehr, frage freundlich nach, nehme meinen Müll mit, will keinen Ort stören. Ich genieße Orte am liebsten, wenn ich das Gefühl habe, dass ich nicht negativ auffalle. Weil ich weiß: Ich bin nur zu Besuch.
Rücksichtslosigkeit auf Reisen
Was mich dabei besonders wütend macht: der Egoismus, den man immer wieder beobachten muss. Manche Tourist*innen benehmen sich respektlos – gegenüber Einheimischen, anderen Reisenden oder der Natur. Sie drängeln, fordern, ignorieren Regeln oder trampeln einfach überall hin. Als hätten sie ein Recht auf alles, nur weil sie Geld dafür bezahlt haben.
Dieses Anspruchsdenken zerstört Orte – und auch das, was am Reisen eigentlich schön ist: Begegnung, Offenheit, Respekt.

Und dann gibt es noch die Sorte Mensch, die trotzig sagt: „Ich lasse mir doch nichts verbieten!“ – ganz gleich, wen sie mit ihrem Verhalten stören oder belasten. Ja, die kleinen Egoisten… genau sie machen es so schwer, überhaupt über Rücksicht und Veränderung zu reden. Leider helfen bei so viel Ignoranz, die gefühlt immer weiter zunimmt, oft nur noch Verbote und Strafen.
Warum das problematisch ist
Massentourismus bringt Geld – aber eben auch Probleme. Wenn plötzlich tausende Menschen auf engem Raum zusammenkommen, bleibt das nicht ohne Folgen:
- Die Natur leidet: Trampelpfade, Müll, gestresste Tiere.
- Die Infrastruktur ächzt: überfüllte Straßen, Toilettenmangel, Lärm.
- Die Preise steigen: Wohnungen, Lebenshaltung, Gastronomie.
- Die Einheimischen ziehen sich zurück – oder wenden sich ab.
Was als Entdeckungsreise beginnt, endet oft als Belastung für Mensch und Umwelt.

Was man selbst tun kann
Ich will niemandem das Reisen verbieten. Auch ich entdecke gerne neue Orte. Aber ich finde, wir müssen verantwortungsvoller reisen. Hier ein paar Dinge, die wir als Reisende tun können:
- Rücksicht nehmen: Nicht überall hinrennen, wo andere stehen. Abstand halten – nicht nur körperlich.
- Müll mitnehmen: Klingt simpel, aber ist leider nicht selbstverständlich.
- Regeln respektieren: Tempolimits, Wanderpfade, Einheimische nicht fotografieren, ohne zu fragen.
- Außerhalb der Saison reisen: Wenn möglich, Orte besuchen, wenn sie nicht überlaufen sind.
- Kleine Anbieter unterstützen: Statt internationaler Ketten lieber lokale Cafés, Unterkünfte oder Touren wählen.
Ich habe für mich einen kleinen Nachhaltigkeitskodex formuliert – nicht perfekt, aber ein Anfang, um bewusster und respektvoller zu reisen.
Wertschätzung fängt beim eigenen Verhalten an.
Wenn ein Ort plötzlich „in“ ist
Manchmal kippt die Stimmung, weil ein Reiseziel plötzlich zum Hype wird. Island, Lofoten, Cinque Terre, Faröer – Orte, die früher kaum jemand kannte, sind heute Instagram-Hotspots. Und wenn plötzlich alle „da mal hinmüssen“, geht oft genau das verloren, was diese Orte einst ausgemacht hat.

Ich war im März 2018 in Island – eigentlich noch Nebensaison, weil das Wetter oft wechselhaft und rau ist. Trotzdem war ich erschrocken, wie viele Tourist*innen unterwegs waren. Besonders am Black Beach oder beim Skógafoss-Wasserfall – Menschenmassen, Selfie-Sticks, kaum Platz für Ruhe. Das war der Moment, in dem ich merkte: Mein Traum von Island als ruhiges Naturparadies hatte mit der Realität nicht mehr viel zu tun. Es war ein kleiner Schock – und leider ein echter Dämpfer für das, was einmal mein absolutes Traumziel war.

Wenn man bedenkt: Island hat gerade einmal rund 384.000 Einwohner – aber allein im Jahr 2024 kamen etwa 2,3 Millionen Tourist*innen auf die Insel. Das ist mehr als das Sechsfache der eigenen Bevölkerung. Kein Wunder, dass auch hier die Belastung spürbar wird.
Der Wunsch, besondere Orte zu erleben, ist verständlich – aber genau das erfordert auch besonderes Verhalten. Denn wir hinterlassen Spuren, ob wir wollen oder nicht.
Reise oder Zwang?
Manchmal frage ich mich, ob Reisen für manche Menschen nicht längst zur Pflicht geworden ist. Nicht mehr als bewusste Entscheidung – sondern fast wie ein Reflex.
Social Media spielt da sicher eine Rolle: Reisen wird zum Statussymbol, zum Beweis für ein spannendes Leben. Wer nicht dauernd unterwegs ist, scheint nichts zu erzählen zu haben.

Dazu kommt diese ständige Angst, etwas zu verpassen – FOMO pur. Und manchmal, so wirkt es, ist der nächste Trip weniger Erholung als Flucht: vor dem Alltag, vor sich selbst, vor dem Stillstand.
Ich habe oft den Eindruck, dass manche nur noch unterwegs sind, weil sie meinen, nur so Erholung zu finden. Dabei ist genau das oft der Punkt, an dem Reisen aufhört, gutzutun.
Vielleicht ist das Problem nicht nur, wohin wir reisen – sondern warum wir überhaupt reisen.

Und manchmal… ist Zuhause genug
Manchmal frage ich mich wirklich, was beim Reisen noch richtig ist – und was falsch. Ich erwische mich dabei, wie ich Urlaubspläne zurückhalte, weil ich denke: „Da wollen bestimmt gerade tausende andere auch hin.“ Alle träumen vom einsamen Fjord in Nordnorwegen – und stehen sich dann gegenseitig im Weg.
Vielleicht klingt es banal, aber: Man kann es sich auch daheim schön machen. In der zweiten Pfingstferienwoche habe ich das mit meinem Cousinchen Eve erlebt. Vormittags hatte jeder Zeit für sich, nachmittags ging ich mit zwei Tassen Kaffee rüber und dann wurde im Garten gechillt, gelesen, geplanscht. Abends zusammen gegessen und mit Mopszilla eine Runde gedreht. Und mit meiner Bestie 😆 Micha ging es für einen kleinen Ausflug nach Neumarkt in der Oberpfalz. Kein Flug, keine Hektik – aber ganz viel echte Zeit.
Ich glaube nur, dass das vielen heute nicht mehr reicht. Es muss laut sein, besonders, auffällig. Etwas, das man zeigen kann. Etwas, das andere neidisch macht. Dieses ständige „höher, weiter, spektakulärer“ hat viel kaputt gemacht. Und ich frage mich, was wir eigentlich verlieren, wenn wir nicht mehr reisen, um anzukommen – sondern nur, um zu posten.
Fazit: Zwischen Fernweh und Verantwortung
Es wäre gelogen, wenn ich sagen würde, dass ich das Reisen nicht vermisse. Doch, ich vermisse es. Ich vermisse das schöne, kalte, raue Nordnorwegen – die Fjorde, das Meer, die tanzenden magischen Lichter am Nachthimmel (Polarlichter), Spaziergänge am Strand, den Sand unter den Füßen. Ja, ich vermisse all das im Moment. Man nennt das wohl Fernweh. Aber trotzdem mache ich mir Gedanken darum, ab wann es zu viel ist.

Manchmal frage ich mich, ob sich überhaupt noch etwas ändern kann. Mir ist eigentlich bewusst, dass sich mit dem Egoismus unserer Zeit und dem momentanen Verhalten vieler Menschen wahrscheinlich nichts verändern wird – eher im Gegenteil. Und trotzdem hoffe ich es.
Ich werde weiter reisen. Aber ich werde noch bewusster hinschauen, wohin – und wie.
Denn Reisen soll verbinden, nicht zerstören. Aber das funktioniert nur, wenn wir als Gäste begreifen, dass wir Teil der Lösung sein können – oder Teil des Problems.
Wertschöpfung beginnt mit Wertschätzung.
Vielleicht hast du ähnliche Gedanken oder ganz andere Erfahrungen gemacht. Ich freue mich, wenn du sie mit mir teilst – denn je mehr wir darüber reden, desto bewusster können wir alle werden.

PS: Wenn im Text von „Instagram-Hotspots“ die Rede ist – natürlich sind auch Plattformen wie TikTok, YouTube oder Facebook ein Teil des Problems. Die Gier nach dem perfekten Motiv, dem viralen Moment oder möglichst viel Reichweite treibt viele Menschen an Orte, die diesen Ansturm nicht verkraften.
Entdecke mehr von Weltenwanderer Blog
Melde dich für ein Abonnement an, um die neuesten Beiträge per E-Mail zu erhalten.
Da sprichst du mir aus der Seele. Der Massenansturm kann einfach nicht gut tun. Weder der Natur, noch den Einheimischen oder allgemein den Orten. Wobei ja nicht nur der Ansturm das Problem ist, wie du auch schreibst, dieses Anspruchsdenken vieler Leute und die damit verbundene Rücksichtslosigkeit und Respeklosigkeit. Dafür muss man nicht mal in andere Länder fahren, das erlebt man genauso auch hier an besonderen Orten. Ich werde auch nie verstehen, wie man auf den Gedanken kommen kann, man hätte ein Recht darauf. Aber Regeln und das Durchsetzen wären wohl schwierig, weil sich so viele einfach nichts mehr sagen lassen wollen.
Ich werde auch weiter reisen, es gibt so viel was ich noch sehen möchte, aber eben mit dem nötigen Respekt und Anstand. Womit ich mir manchmal wie der größte Spießer vorkomme. Verrückt.
Wie recht du hast.
Ich bin auch gerne auf Reisen. Sie erweitern den Horizont, man lernt Neues und zudem fotografiere ich sehr gern. Das trifft sich. Aber was manche Menschen teilweise aufführen, diese Rücksichtslosigkeit und dieser Egoismus sind echt schlimm.
Ich wandere auch sehr gerne und mag einfach Berge und Wasser. So häufig werde ich gefragt, wo ich die gezeigten Fotos aufgenommen habe. Allerdings weigere ich mich mittlerweile, diese Information raus zu rücken. Es gibt so viel Land, das nicht noch mehr Menschen verträgt.