Ich würde von mir behaupten, eine ziemlich reflektierte Person zu sein – nicht zuletzt durch viele Jahre Psychotherapie und durch Begegnungen mit den unterschiedlichsten Menschen. Ich kenne meine Ecken und Kanten mittlerweile ziemlich gut und habe gelernt, Grenzen zu setzen. Wobei… gerade beim Grenzen setzen bin ich oft noch zögerlich. Egal, wie respektlos oder verletzend jemand mit mir umgeht, frage ich mich trotzdem: Was, wenn ich die Person mit meiner Reaktion verletze? Dabei bin doch eigentlich ich diejenige, die verletzt wurde…
Ein Thema, das mich seit letzter Woche wieder sehr stark beschäftigt. Warum ich mir gerade jetzt wieder den Kopf darüber zerbreche, ob ich für andere Menschen zu langweilig bin – oder einfach grundsätzlich nicht zur Gesellschaft passe –, liegt an meinem letzten Ausflug nach Köln.
Ich bin kein Partymensch. Ich bin eher die stille Beobachterin, die lieber ein tiefes Gespräch im kleinen Kreis führt als laute Nächte mit Alkohol und Musik zu verbringen. Ich genieße die Ruhe, auch wenn ich manchmal das Gefühl habe, dass mich genau das von anderen trennt.
Ich versuche, mich einzubringen. Fahre mit, bin dabei – auch wenn es mir schwerfällt. Ich will ja auch wegkommen, unter Leute, andere erleben. Aber es passt oft einfach nicht zu meiner Art. Es kollidiert mit meiner Hochsensibilität, mit meinem Bedürfnis nach Rückzug, nach Sicherheit. Und wenn dann noch Alkohol im Spiel ist und Gespräche in Richtungen gehen, mit denen ich nichts anfangen kann, fühle ich mich noch fremder. Noch weniger zugehörig.
Kürzlich bin ich über einen Text zu Hochsensibilität gestolpert, der mich mitten ins Herz getroffen hat:
Wir reden gern, aber nur mit wenigen.
Wir sind kontaktfreudig, aber nicht mit jedem.
Wir gehen gerne aus, aber bitte nicht zu lang.
Wir lieben es, mega laut unsere Lieblingsmusik zu hören, aber kriegen die Krise bei einem tropfenden Wasserhahn.
Wir wollen dazugehören, aber fühlen uns fremd.
Wir hassen Smalltalk, lieben aber tiefe Gespräche.
Wir wollen eingeladen werden, aber nicht hingehen.
Wir finden Menschen faszinierend und anstrengend.
Wir sind extrovertiert, aber nur bei bestimmten Menschen.
Wir mögen Gesellschaft, brauchen aber Zeit für uns allein.
Wir haben ein riesengroßes Herz für alles und jeden, doch uns selbst müssen wir erst lieben lernen…
Ich finde mich in fast jedem dieser Sätze wieder. Ich bin ruhig. Beobachtend. Entspannt. Ich liebe es, einfach auf einer Parkbank zu sitzen, den Moment zu genießen, Leute zu beobachten. Oder dem Sonnenuntergang am Meer zuzusehen. Ich muss nicht reden, um zu fühlen. Und doch frage ich mich: Reicht das? Wirkt das auf andere vielleicht langweilig? Still? Unsichtbar?
Was mir oft schwerfällt: mit anderen ins Gespräch zu kommen. Mein Kopf ist voller Gedanken, aber wenn ich etwas sagen möchte, ist plötzlich alles wie weggeblasen. Leere. Und dann fühle ich mich dumm. Ich denke, mein Gegenüber hält mich für dumm. Vielleicht bin ich das ja auch?
Das Gefühl, nicht dazuzugehören, ist so anstrengend. Es macht müde. Es nagt.
Dabei brauche ich soziale Kontakte. Ich bin kein Einzelgänger. Ich will zumindest ein wenig dazugehören. Ich will Menschen um mich. Nur fällt es mir oft schwer, mich in Gruppen wohlzufühlen.
Und ich bin empathisch. Ich fühle mit, oft mehr als mir selbst guttut. Aber ich kann das schwer zeigen. Ich bin nicht gut darin, tröstende Worte zu finden oder meine Emotionen auszudrücken. Ich bin einfach da. Still. Mitfühlend. Und hoffe, das reicht irgendwie.
Dabei sieht man das alles oft nicht. Man sieht nur, dass ich unterwegs bin. Dass ich etwas unternehme. Auf meinem Blog liest man von Konzerten, Reisen, Eishockeyspielen. Aber was man nicht sieht, ist der innere Kampf, der oft davor liegt. Das Unwohlsein, bevor ich losgehe. Die Überforderung, wenn es zu viel wird.
Gerade zu den Eishockeyspielen zu gehen, war anfangs richtig schwer für mich. Ich musste mich an die Geräusche, die Menge, die Atmosphäre erst gewöhnen. Doch irgendwann wurde das Stadion für mich zu einer Art Safeplace. Ein Ort, an dem ich einfach sein darf. Auch wenn es immer wieder kleine Rückschläge gibt.

Trotz all dieser Gedanken weiß ich auch: Ich habe Menschen in meinem Leben, die mich genauso mögen, wie ich bin. Es sind nicht viele – aber sie sind besonders. Freundschaften, in denen ich nicht performen muss. In denen ich leise sein darf. In denen ich nicht das Gefühl habe, zu viel oder zu wenig zu sein.
Und manchmal, wenn ich mit ihnen unterwegs bin, merke ich: Vielleicht bin ich doch gar nicht so „langweilig“, wie ich manchmal denke. Vielleicht bin ich einfach nur ich. Und das reicht.
Ich glaube, es ist einfach schwierig, wenn man zu den Leisen gehört.
Gesehen werden oft die Lauten. Die, die schnell die richtigen Worte finden. Die, die sich souverän ausdrücken können, präsent sind. Und manchmal frage ich mich: Haben wir Leisen in so einer Welt überhaupt Platz?
Ich glaube, wir haben ihn.
Aber es braucht Mut, sich den Platz zu nehmen. Und Geduld – vor allem mit sich selbst.
Ich weiß noch nicht, wie es für mich weitergeht. Noch nicht, wie ich in dieser lauten Welt meinen Weg finden soll, ohne mich zu verbiegen. Aber ich weiß, dass ich mich nicht aufgeben will. Dass ich weiter meinen Platz suche. Vielleicht am Strand um den Sonnenuntergang zu beobachten. Vielleicht im Gespräch mit jemandem, der nicht schreit, sondern zuhört. Vielleicht in einem Text wie diesem.
Und vielleicht ist das gerade erst der Anfang.

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Du bist Klasse wie Du bist!
Ich weiß sooo gut, was du meinst. Ich habe lange Zeit damit gehadert, warum ich mich mit sozialen Interaktionen so schwer tue. Auf der einen Seite seufze ich jedesmal innerlich, wenn so etwas ansteht, und bin danach völlig erledigt. Aber trotzdem habe ich dabei auch Spaß und genieße es, mittlerweile einen Freundeskreis zu haben und „dazuzugehören“ (was lange Zeit alles andere als selbstverständlich für mich war – früher habe ich mich oft zurückgezogen und so oft abgesagt, bis ich gar nicht mehr gefragt wurde).
Mir ist irgendwann klar geworden, dass meine sozialen Batterien einfach nicht sonderlich lange halten und es für mich sauanstrengend ist, einen Abend mit vielen Leuten zu verbringen, gerade wenn es laut ist, mehrere Gespräche parallel laufen (ich höre sie halt alle gleichzeitig mit) und so viele Eindrücke auf mich einprasseln. Wenn es mir zu viel wird, werde ich da auch eher leise und es kommt bisweilen auch vor, dass ich irgendwann einfach gehe und lieber ein paar Kilometer nach Hause laufe, als noch länger dableiben und auf irgendwelche Mitfahrgelegenheiten warten zu müssen.
Aber ich lerne anzunehmen, dass das okay ist. Dass ich deswegen nicht langweilig bin oder unsozial. Ich muss nur auf meine Batterien achtgeben und wenn ich entsprechend plane, komme ich auch besser zurecht und es nimmt Druck raus. Diese Woche war ich beispielsweise Freitag auf einem Spieleabend und gestern hatten wir Gäste hier – deswegen habe ich einer Freundin abgesagt, die heute zum Frühstücken vorbeikommen wollte. Mir war vorher schon klar, dass ich heute Ruhe brauche. Und das hat soooo gut getan.
Übrigens mache ich die Erfahrung, dass ich mit etlichen Menschen in meinem Freundeskreis darüber sehr offen sprechen kann, weil sie selber auch neurodivergent sind und mit genau den gleichen Themen struggeln. Diese Ehrlichkeit und das Verständnis helfen mir auch ungemein, mich weniger wie ein Außenseiter zu fühlen.
Das wünsche ich dir auch von Herzen. Du bist ganz bestimmt nicht langweilig. <3
Liebe Grüße
Anne
Kurz und knapp: du sprichst mir mit dem Artikel aus der Seele.
Diese Sätze würde ich fast alle sofort unterschreiben.
Dranbleiben ist die Devise, auch wenn es immer mal wieder schwer fällt und es leichter wikrt, alles hinzuschmeißen.
Ich glabe auch nicht immer daran, aber irgendwas von mir hofft doch, dass sich letztlich alles finden wird.
Das Schlimme ist, dass man sich ja immer selbst in Frage stellt und das sollten wir nicht tun. Jeder hat ein anderes Wohlfühlumfeld und das ist auch gut so.
Man muss eben nur die passenden Menschen dafür finden.
Fühl dich gedrückt.
Da hast einmal mehr einen sehr mutigen, Einblick gebenden und reflektierten Artikel geschrieben, in dem ich mich (zu) gut wiedererkenne. Leider leben wir in einer Gesellschaft, die immer noch die lauten, aus sich rausgehenden Menschen belohnt. „Warum bist du denn so still?“ wird man häufiger gefragt; die „Lauten“, die für die „Leisen“ keine Gesprächspause lassen, dagegen nie „Warum bist du denn so laut?“ Kommt natürlich immer auf das Umfeld an. Ich bin auch im Wohlfühlumfeld eher leise und höre zu, weiß dann aber Lücken im Gespräch zu nutzen, da es sie gibt. Ich könnte nun noch viel mehr schreiben, lasse es aber dabei. Danke fürs Teilen und du merkst: Du bist nicht allein. 🙂
So offen darüber zu schreiben, das ist schon mutig und überhaupt nicht langweilig. Und ich denke, gerade die leisen, nachdenklichen Menschen haben einen festen Platz. Denn oft sind sie es, die einen lauten, aufgeregten Menschen wieder runterholen können.