Weihnachten zwischen Ruhe, Erwartungen und Einsamkeit
Jedes Jahr steht diese „besinnliche Zeit” wieder vor der Tür, begleitet von Lichtern, Ritualen und der stillschweigenden Erwartung, dass man nun zur Ruhe kommen, dankbar sein und sich freuen soll. Und jedes Jahr merke ich: Für mich ist das komplizierter.
Einerseits freue ich mich auf die freie Zeit. Dieses Jahr sogar auf drei Wochen. Keine Termine, kein Alltag, kein ständiges Funktionieren. Allein das fühlt sich nach Luxus an. Doch dann folgt fast automatisch der zweite Gedanke: Mit der freien Zeit kommen auch die festen Programmpunkte wieder. Heiligabend werde ich mit meiner Mutter essen. An einem der Feiertage kommt mein Bruder mit seiner Familie vorbei. Mittagessen, Kaffee, Zusammensitzen.
Nicht, weil ich sie nicht mag. Sondern weil dieses Zusammensitzen oft so gezwungen ist. Gespräche entstehen selten von selbst. Und wenn sie entstehen, kippt es irgendwann. Meist dann, wenn ich mich gut unterhalte und meine Mutter das Gefühl bekommt, zu kurz zu kommen. Dann zieht sie sich zurück. Still und sichtbar beleidigt. Ich sitze dazwischen, frage mich, was ich wieder falsch gemacht habe, und mir ist gleichzeitig sehr klar, wie unerquicklich (<- mir fällt da kein anderes Wort ein) diese Situation ist.
Rational weiß ich, dass ich nicht für die Gefühle anderer Erwachsener verantwortlich bin. Emotional fühlt es sich jedoch anders an. Schuldgefühle lassen sich nicht einfach abschalten, nur weil man ihre Ursache kennt.

Silvester ist der nächste Punkt. Ich werde nichts unternehmen. Weder aus Protest noch aus Trotz. Es ergibt sich einfach nichts. Alle haben Familie, Beziehungen, feste Kreise. Ich nicht. Gleichzeitig sitzt meine Mutter wieder allein daheim, weil sie selbst nichts unternimmt. Wenn ich weggehe, habe ich ein schlechtes Gewissen. Wenn ich bleibe, auch. In dieser Konstellation gibt es kein richtiges Verhalten, sondern nur verschiedene Formen inneren Drucks.
Natürlich kann man sagen, dass jeder selbst dafür verantwortlich ist, wie er seine Zeit verbringt. Und ja, das stimmt. Aber Wissen schützt nicht vor Gefühlen. Schon gar nicht vor dem leisen Gewicht unausgesprochener Erwartungen.
Und trotzdem – trotz Reflexion, trotz Verständnis und trotz des Wissens, dass man nicht alles alleine tragen muss – kommt sie manchmal: die Einsamkeit.
Es ist nicht laut. Nicht dramatisch. Eher still.
Man hat Ruhe und Zeit, hat alles richtig gemacht und fühlt sich trotzdem allein. Einsamkeit lässt sich nicht logisch erklären. Sie entsteht nicht dort, wo niemand da ist, sondern dort, wo Nähe fehlt. Wo der Austausch oberflächlich bleibt. Wo es niemanden gibt, bei dem man einfach sein darf, ohne Rücksicht, ohne Rolle, ohne schlechtes Gewissen.
Manchmal hat diese Einsamkeit sehr konkrete Gründe.
Ich bewege mich in einem Umfeld, in dem Alkohol für viele selbstverständlich dazugehört. Für mich nicht. Das trennt mehr, als man denkt. Gespräche verändern sich, Abende verlaufen anders und Nähe entsteht auf einer Wellenlänge, die nicht die meine ist. Das ist kein Vorwurf, sondern eine nüchterne Feststellung. Das ist einer der Gründe… Und ich bin keine Partyhexe…
Hinzu kommt ein eher nerdiges als geschniegeltes Leben. Bücher, Technik, Interessen, angefangene Projekte. Keine perfekt aufgeräumte Musterwohnung, sondern ein Zuhause, das gelebt wird. Nähe entsteht nicht dort, wo man sich permanent erklären oder anpassen muss, sondern dort, wo das eigene Leben nicht als Abweichung empfunden wird. Und mein Wäschestapel wird mich demnächst unter sich begraben… 😵💫😅
Vielleicht ist Einsamkeit manchmal weniger ein Mangel als vielmehr ein Zeichen dafür, dass man nicht gewillt ist, sich zu verbiegen, nur um irgendwo dazuzugehören.

Ein weiterer Grund, warum mir diese Zeit bis heute schwerfällt, liegt einige Jahre zurück. Ich war mit meinem damaligen Partner über die Weihnachtsfeiertage unterwegs. Es lief schon nicht gut. Er fuhr mich nach Hause. Danach kam nichts mehr. Keine Nachricht, kein Anruf. Funkstille bis Neujahr. Und dann kam die Trennung. Nebenbei erfuhr ich, dass er zu diesem Zeitpunkt bereits eine andere hatte.
Es gab kein großes Drama und auch erstmal kein klärendes Gespräch. Einfach Stille. Und ein sehr nachhaltiges Gefühl des Verlassenwerdens. Seitdem hat Weihnachten für mich diesen Beigeschmack von Warten, Unsicherheit und dem Wissen, dass Dinge manchmal zerbrechen, während alle um einen herum so tun, als wäre alles in Ordnung.
Ich schreibe das nicht, um Mitleid zu bekommen. Sondern, weil es erklärt, warum diese Zeit für mich nicht leicht ist. Warum ich zwiegespalten bin. Weil „besinnlich“ für mich oft bedeutet, sehr genau mit mir selbst konfrontiert zu sein.
Vielleicht muss man Weihnachten nicht lieben. Es reicht vielleicht, wenn man es übersteht. Diese Zeit darf ruhig, zurückgezogen und unspektakulär sein. Ohne große Gefühle, ohne erzwungene Harmonie und ohne den Anspruch, jemandem etwas schuldig zu sein.
Für mich bedeutet Besinnlichkeit nicht das lange Zusammensitzen. Besinnlich ist Stille. Ein Buch. Ein Tee. Und die ehrliche Erkenntnis, dass man sich nicht jedes Jahr neu verbiegen muss, nur weil es der Kalender verlangt.
Manche Zeiten darf man feiern. Andere wiederum sollte man einfach hinter sich bringen. Und das ist völlig in Ordnung.
Vielleicht geht es an Weihnachten nicht darum, jemanden an seiner Seite zu haben. Sondern darum, niemanden zu vermissen, der nur passen würde, wenn man sich selbst kleiner macht.

Eigentlich sollte es ein Beitrag darüber werden, welche Filme ich über die Weihnachtsfeiertage schauen werde. Es ist nun jedoch völlig anders gekommen 😅
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Oh, da haben wir aber einiges parallel. Die unerfüllten Erwartungen der Eltern, die nun aber Gesellschaft oder Hilfe brauchen, keine Partymaus, kein Alkohol.
Weihnachten ist immer sehr anstrengend. Ich rette mich mental dahingehend, dass ich es mir dann mit meinen Katern gemütlich mache und „Catmas“ feiere. Dieses Jahr erst ab dem 27.12. weil ich zuvor nicht los kommen aus dem Ausnahmezustand bei den Eltern.
Vielleicht ist ein „Bookmas“ für dich das richtige. Mach es dir gemütlich mit Buch und Tee und zelebriere es. Gestalte es so wie du möchtest.