Absage aus Vernunft – Fanreise nach Göteborg
Es war kein großer Plan und auch kein Lebenstraum, sondern eher ein leiser Wunsch, der sich irgendwo zwischen Alltag und Vorfreude eingenistet hatte: Noch einmal in diesem Jahr skandinavischen Boden unter den Füßen spüren. Nur kurz. Ein paar Stunden Norden, bevor der Alltag mich wieder ganz für sich beansprucht.
Die ERCI-Fanreise nach Göteborg war dafür perfekt geeignet. Ein Spiel, ein Flug, ein Hauch Schweden. Es gab kein großes Programm und auch keinen Städtetrip, sondern nur dieses kleine Gefühl, weg zu sein, kalte Luft in den Lungen und fremde Straßen unter den Schuhen zu haben.
Und dann kam der Preis. Nicht als kleines Hindernis, sondern als klare Grenze. Er hat mir den Traum nicht zerstört, aber ihn leise zurück ins Regal gestellt.
Die Reise sollte zum Viertelfinale der Champions Hockey League gegen den Frölunda HC gehen. Der Frölunda HC ist ein Traditionsverein mit starken Fans und einer tollen Atmosphäre. Ein Spiel, das man nicht jeden Tag sieht und das man als Eishockey-Fan sehr gern live erlebt hätte. Immerhin gehört der ERCI nun zu den acht besten Eishockeyvereinen Europas.
Ich habe diese Reise nicht einfach so abgesagt. Nicht mit einem Schulterzucken. Nicht mit einem „Ach, dann halt nicht“. Es war eine Entscheidung, die mir schwerfiel. Eine, bei der die Vernunft lauter war als die Lust – und ich wünschte, es wäre anders gewesen.
Denn ich wäre gern in diesem Flieger gesessen. Ich hätte gern aus dem Fenster geschaut und gedacht: Da ist er wieder, mein Norden. Doch stattdessen saß ich hier, klickte auf „Absagen“ und wusste, dass in diesem Moment ein kleines Stück Vorfreude leise verschwunden ist.
Aber mal ehrlich: 549 Euro für einen Stehplatz und 579 Euro für einen Sitzplatz?
Für den Hin- und Rückflug am selben Tag. Dazu kommt noch der Bustransfer zum Stadion. Mehr nicht.
Im Jahr 2023 kostete eine vergleichbare Reise noch etwa 260 Euro. Mir ist bewusst, dass sich Preise verändern, Flüge teurer werden und die Organisation heute mehr kostet als noch vor ein paar Jahren.
Mir ist es wichtig, das ganz klar zu sagen:
Ich unterstelle niemandem, diesen Preis bewusst so hoch angesetzt zu haben. Ich weiß, dass die Preise für Flüge, Organisation und Rahmenkosten in den letzten Jahren deutlich gestiegen sind. Auch Vereine und Reiseanbieter sehen sich mit steigenden Preisen konfrontiert.
Dieses Wissen ändert trotzdem nichts an meiner persönlichen Realität: Ich kann mir diese Reise finanziell nicht leisten.
Ich möchte ehrlich sein:
Ich hätte die Reise bis etwa 370 Euro gemacht. Ohne zu zögern. Ich bin jemand, der solche spontanen Sachen mag: einsteigen, losfliegen, das Spiel schauen und zurückfliegen. Genau mein Ding.
Aber irgendwann hört Spontanität auf und finanzielle Vernunft beginnt. Ich habe keinen Goldesel im Keller stehen. Der Dezember ist außerdem kein Monat, in dem Geld leise vorbeigeht. Da kommen Versicherungen, Heizöl und Weihnachtsausgaben hinzu – und mein Auto ist auch noch nicht abbezahlt.
So nüchtern es klingen mag:
Im Leben gibt es nichts geschenkt. Keine Reisen, keine Erlebnisse, keine „Einfach-mal-eben“-Momente.
Alles hat seinen Preis – und manchmal ist dieser höher, als man ihn zahlen kann oder will.
Wenn man ehrlich auf die Zahlen schaut, ist eine solche Fanreise kein kleines Extra mehr, sondern ein tiefer Griff in den Geldbeutel. Und dazu bin ich nicht bereit. Vor allem nicht für ein paar Stunden Erlebnis zwischen Flughafen und Stadion.
Und ja – da ist dieses fiese Gefühl: FOMO1.
Dieses „Ich wäre so gern dabei gewesen“, während andere im Flieger sitzen, Fotos posten, vom Spiel erzählen. Dieses Wissen, dass genau an diesem Abend irgendwo in Göteborg gejubelt wird – und ich nicht dort bin.
Ich werde mir vermutlich den Ticker anschauen. Eventuell auch Livestreams. Und vielleicht Stories. Und ich weiß jetzt schon: Das wird ein bisschen pieksen. Dieses gleichzeitige Gefühl, es jemandem gönnen zu können, aber innerlich doch ein kleines Stück traurig zu sein.
Denn so rational meine Entscheidung auch ist, emotional ist sie eben nicht so sauber. Ich hätte gerne dazugehört. Ich hätte dieses Erlebnis gerne geteilt. Es ist kein schönes Gefühl, zurückzubleiben, während andere aufbrechen.
Und eines war für mich sofort klar:
An meine Tromsø-Rücklagen gehe ich dafür nicht. Das ist kein Notgroschen, sondern ein Teil von mir. Ein Ort, an dem ich ankomme. Ein Ort, der mir Ruhe gibt, keine Rechnungen.
Wenn Fotos von dieser Reise auftauchen, werde ich vielleicht wehmütig sein. Vielleicht werde ich ein bisschen neidisch sein, vielleicht auch kurz melancholisch. Aber ich weiß auch: Ich habe mich nicht gegen einen Traum entschieden, sondern für mich selbst.
Manchmal bedeutet Vernunft nicht Verzicht, sondern Orientierung. Und meine zeigt nach Norden. Aber nicht um jeden Preis.
Der Norden läuft nicht weg. Er wartet.
Und ich werde wiederkommen – nicht gehetzt und nicht um jeden Preis, sondern dann, wenn es sich wirklich richtig anfühlt.
- FOMO steht für „Fear of Missing Out“ – also die Angst, etwas zu verpassen.
Gemeint ist dieses fiese Gefühl, wenn man weiß:
Andere erleben gerade etwas Besonderes – und man selbst ist nicht dabei. Man verpasst nicht nur ein Ereignis, sondern auch Bilder, Gespräche, Erinnerungen, dieses „Weißt du noch…?“.
FOMO ist nicht „neidisch sein“. Es ist eher diese leise Mischung aus Wehmut, Ausschlussgefühl und dem Gedanken: „Ich wäre so gern auch dort gewesen.“
Psychologisch ist das völlig normal – unser Gehirn ist darauf programmiert, Zugehörigkeit wichtig zu finden. Wenn man außen vor bleibt, meldet sich eben nicht nur der Verstand, sondern auch das Herz. ↩︎
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Ich verstehe dich sehr gut. Das die Vernunft siegte, ist gut und auch richtig. Und das du an deine Notgroschen nicht rangegangen bist, finde ich toll. Leider muss man auf sein Bauchgefühl hören, alles wird teurer und teurer. Der Norden wartet wie du schon sagtest. Und wenns soweit ist, das wieder hingereist werden kann, bist du umso glücklicher <3